Aufruf zur Solidarität
Mit den Werten der Universitätsautonomie, der Freiheit des kritischen Denkens und der Solidarität im Hinterkopf, äußern wir unsere Besorgnis über die Bedrohungen, denen unsere Kollegen an der Philosophischen Fakultät in Novi Sad ausgesetzt sind. Der organisierte Angriff auf die Integrität dieser Institution begann mit der Verbreitung eines manipulierten Videos über unseren Kollegen Prof. Dr. Dinko Gruhonjić, woraufhin Kollege Gruhonjić mit Todesdrohungen konfrontiert war und die Philosophische Fakultät in Novi Sad mit Blockaden, Ultimaten, Beleidigungen und weiteren Drohungen gegen Lehrer und Mitarbeiter, die sich für die Autonomie der Universität eingesetzt haben. In der komplexen politischen Situation in Serbien ist es beunruhigend, dass das Führungsverhalten der Universität Novi Sad und des Studentenparlaments der Universität, als weitere in einer Reihe von gefangenen und instrumentalirten Institutionen erscheinen, die anstatt sich für akademische Werte und Menschenrechte einzusetzen, aktiv an deren Zerstörung arbeiten.
Hintergrund und Schlüsselinformationen
Die Philosophische Fakultät der Universität Novi Sad wurde vor 70 Jahren gegründet und ist die älteste Fakultät an der Universität Novi Sad, mit einer langen Geschichte des kritischen Denkens. Die Philosophische Fakultät leistete in den 1990er Jahren starken Widerstand gegen die antidemokratische Politik des Regimes von Slobodan Milošević. Der verstorbene Zoran Đinđić, Philosoph und erster Premierminister Serbiens nach dem Sturz von Milošević, der 2003 einem Attentat zum Opfer fiel, war einst an unserer Fakultät beschäftigt. Die Fakultät befindet sich heute in der Zoran Đinđić Straße Nummer 2.
Die Philosophische Fakultät ist seit Mitte März 2024 bisher noch nicht gesehenen politischen Druck ausgesetzt. Der Druck begann mit Angriffen auf den außerordentlichen Professor unserer Fakultät, Dinko Gruhonjić, der fälschlicherweise beschuldigt wurde, Hassreden zu verbreiten und Kriegsverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg zu verherrlichen, und das alles auf der Grundlage eines manipulierten Videos seiner Präsentation auf dem privaten Festival “Rebedu” in Dubrovnik, bei dem Gruhonjić als politischer Analyst auftrat. Nach der Veröffentlichung des manipulativen Propagandavideos in regierungsnahen Boulevardmedien schlossen sich auch die höchsten Vertreter der aktuellen Regierung aus der stärksten Serbischen Fortschrittspartei (SNS) der politischen Verfolgung von Gruhonjić an. Am Mittwoch, dem 20. März, richtete der Fraktionsvorsitzende der SNS, Milenko Jovanov, schwere Beleidigungen gegen Gruhonjić. Nur wenige Stunden später wurde an dem Eingang des Gebäudes, in dem Professor Gruhonjić mit seiner Familie lebt, ein Graffiti geschrieben, das direkt zu seiner Ermordung aufruft.
Alle Kollegen des Instituts für Medienstudien der Philosophischen Fakultät, an dem Professor Gruhonjić beschäftigt ist, haben ihm uneingeschränkte Unterstützung zugesagt. Danach schlossen sich auch zahlreiche Kollegen aus anderen Abteilungen der Philosophischen Fakultät der Unterstützung an. Ein Initiativausschuss wurde gebildet, der am Mittwoch, den 27. März 2024, eine Versammlung zur Unterstützung von Professor Gruhonjić, für die Autonomie der Universität Novi Sad und die Freiheit von Rede und Meinung, und gegen politische Verfolgung abhielt.
In der Zwischenzeit hat das Studentenparlament der Philosophischen Fakultät eine Beschwerde gegen Gruhonjić bei der Ethikkommission unserer Fakultät eingereicht, wegen angeblicher Hassreden des Professors. Die Sitzung der Ethikkommission wurde dann für Dienstag, den 2. April, festgelegt.
Trotzdem hat das Studentenparlament der Universität Novi Sad dem Dekanat der Fakultät ein Ultimatum gestellt, dass Professor Gruhonjić sofort entlassen werden soll, oder sie werden sonst eine Blockade der Fakultät organisieren.
Am Donnerstag, dem 28. März, stürmte eine Gruppe von etwa 30 jüngeren Personen das Gebäude der Fakultät, während sich vor dem Gebäude noch etwa 70 Personen befanden. Sowohl unter denen, die vor dem Gebäude der Fakultät standen, als auch unter denen, die in das Gebäude eingedrungen waren, gab es sehr wenige Studenten der Philosophischen Fakultät. Eine der Personen, die in die Fakultät eingedrungen waren, trug ein T-Shirt mit dem Bild von Milorad Ulemek Legija. Milorad Ulemek wurde zu insgesamt 95 Jahren Gefängnis verurteilt: 40 Jahre wegen der Organisation des Attentats auf den serbischen Premierminister Zoran Đinđić, 40 Jahre wegen der Organisation der Ermordung des ehemaligen serbischen Präsidenten Ivan Stambolić und 15 Jahre Gefängnis wegen des versuchten Attentats auf den ehemaligen Oppositionsführer Vuk Drašković.
Die Fakultätsleitung hat beschlossen, aus Gründen des Schutzes unserer Studenten, Lehrer und Mitarbeiter, das Gebäude zu evakuieren und die Lehraktivitäten der Fakultät bis auf Weiteres zu stoppen, d.h. bis sichere Bedingungen für den normalen Betrieb unserer Hochschuleinrichtung gegeben sind. Die Personen, die in die Fakultät eingedrungen sind, haben Ketten und Schlösser an die Eingangstüren der Fakultät angebracht. Aufgrund der Aufregung durch den Einbruch und das aggressive Auftreten der Eindringlinge wurde der Dekanin und der Prodekanin Erste Hilfe geleistet. Die Polizei kam auf Anruf des Dekans der Fakultät zum Tatort und teilte nach Absprache mit dem diensthabenden Staatsanwalt mit, dass es “keine Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat” gebe und dass sie ihre Mitglieder nicht im oder vor dem Gebäude lassen wolle. Der anwesenden Dekanin, den Prodekanen und den Mitarbeitern bot die Polizei an, sie sicher nach draußen zu führen, ohne Garantien, dass sie in das Gebäude zurückkehren könnten.
In der Zwischenzeit haben Professor Gruhonjić, neben den Kollegen auch seine Studenten, unterstützt. Alle haben ihren vollständigen Namen unter den Text der Unterstützung geschrieben. Danach begann eine Hetzjagd gegen Studenten und Lehrer, einschließlich der schlimmsten chauvinistischen Beleidigungen und Todesdrohungen. Beleidigungen und Drohungen erhielt und erhält auch die Dekanin der Philosophischen Fakultät, Professorin Ivana Živančević Sekeruš.
Am Sonntagnachmittag, dem 31. März 2024, kam der Rektor der Universität Novi Sad, Professor Dejan Madić von der Fakultät für Sport und körperliche Erziehung, zusammen mit den Dekanen der Fakultät für technische Wissenschaften, Boris Dumnić, und der Fakultät für Sport und körperliche Erziehung, Patrik Drid, vor das Gebäude unserer Fakultät. Der Rektor hat seinen Besuch nicht bei der Dekanin der Philosophischen Fakultät angekündigt. Zuvor hat er nicht auf ihre Telefonanrufe und E-Mails geantwortet, als sie um Hilfe vom Rektorat und dem Senat der Universität bat, um eine Blockade unserer Fakultät zu verhindern, die sich in unmittelbarer Nähe des Rektoratsgebäudes befindet.
Am Sonntag hielt der Rektor vor der Fakultät eine Pressekonferenz ab, auf der er unter anderem Auszüge aus den journalistischen Kolumnen von Professor Gruhonjić las und ihn der Hassrede beschuldigte und das Ultimatum der Studenten unterstützte, dass Gruhonjić entlassen werden sollte. In seiner Ansprache berücksichtigte Rektor Dejan Madić nicht die Tatsache, dass es an der Fakultät und an der Universität klar festgelegte Verfahren gibt, unter welchen Bedingungen ein Universitätslehrer entlassen werden kann. Ähnliche Qualifikationen gegenüber Professor Gruhonjić äußerten auch zwei Dekane, die mit dem Rektor da waren.
Nach der Ankunft des Rektors wurde die Blockade des Fakultätsgebäudes bedingt aufgehoben. Die Organisatoren aus dem Studentenparlament der Universität kündigten an, dass die Blockade nach der April-Prüfungsperiode, die vom 1. bis 12. April dauert, fortgesetzt wird, falls Professor Gruhonjić nicht entlassen wird.
Aus Protest gegen dieses Verhalten des Rektors hat die Prorektorin für internationale Zusammenarbeit, Professorin Sabina Halupka Rešetar von der Philosophischen Fakultät, ihren Rücktritt vom Prorektorat eingereicht. Auch drei Mitgliederinnen des Ausschuss für Geschlechtergleichstellung der Universität Novi Sad haben ihren Rücktritt eingereicht.
Die Ethikkommission der Philosophischen Fakultät hielt am Dienstag, dem 2. April, eine Sitzung ab, auf der ein Verfahren aufgrund einer Beschwerde des Studentenparlaments der Philosophischen Fakultät wegen angeblicher Hassreden von Professor Gruhonjić eingeleitet wurde. Die Ethikkommission forderte die Beschwerdeführer auf, die Dokumentation, die unvollständig war, zu vervollständigen und gab ihnen dafür eine Frist von 30 Tagen. Es liegt nicht in der Zuständigkeit der Ethikkommission, Professoren und Mitarbeitern der Fakultät zu kündigen, sondern verschiedene Arten von Verwarnungen auszusprechen, wenn der Kodex für akademische Integrität verletzt wurde.
Der serbische Präsident Aleksandar Vučić sagte auf einer Pressekonferenz, dass niemand Gruhonjić bedrohen und seine physische Sicherheit gefährden darf, aber gleichzeitig sagte er, dass Gruhonjić “sich schämen sollte” für das, was er angeblich gesagt hat. Mit anderen Worten, Präsident Vučić stützte sich auch auf ein manipulatives Video, das aus dem Kontext gerissen wurde. Auf diese Weise trug er weiter zur Hetzejagd gegen Gruhonjić, die Lehrer und die Studenten der Philosophischen Fakultät bei.
Auch nach 20 Tagen hört die Hetze, die durch Aussagen hoher staatlicher und parteilicher Beamter, durch Medien nahe dem Regime und durch soziale Netzwerke stattfindet, nicht auf, und im Visier sind alle, die Professor Gruhonjić, die Redefreiheit und die Autonomie der Universität unterstützt haben. Der verurteilte Kriegsverbrecher Vojislav Šešelj las im Fernsehen mit nationaler Abdeckung die Namen und Nachnamen der Personen vor, die Gruhonjić unterstützt haben. Šešelj wurde vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wegen der Vertreibung der Kroaten aus Vojvodina Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Vertreibung der Kroaten begann, als Šešelj am 6. Mai 1992 in Hrtkovci in der multiethnischen Provinz Vojvodina Listen mit den Namen und Nachnamen der Kroaten vorlas, die diesen Ort verlassen mussten.
Die Demokratie in Serbien, im Allgemeinen und insbesondere in den Bereichen Wissenschaft und Bildung, ist zunehmend gefährdet. Es gibt nur noch wenige freie Medien und sie stehen unter ständigem Druck des Regimes. Der aktuelle Versuch, die Philosophische Fakultät in Novi Sad zum Schweigen zu bringen und die kritischen Stimmen, die von dort kommen, weiter zu untergraben, untergräbt die Demokratie in Serbien zusätzlich.
Aufruf
Angesichts der Ereignisse an der Universität Novi Sad, sehr besorgt über die Bedrohungen, denen unsere Kollegen ausgesetzt sind, und in Anbetracht der Tatsache, dass ähnliche Kampagnen gegen kritisch eingestellte Professoren vor 30 Jahren dazu geführt haben, dass Hochschuleinrichtungen aus dem europäischen Bildungsraum ausgeschlossen wurden, fordern wir, die Unterzeichneten, dringend den Schutz der Autonomie der Philosophischen Fakultät. Wir fordern die Universität Novi Sad und die Behörden der Republik Serbien auf, sofort alle gesetzlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Hetzjagd und politische Verfolgung von Professor Gruhonjić, seinen Kollegen, Studenten und Mitarbeitern der Fakultät sowie aller Personen, die aufgrund ihrer Unterstützung der Philosophischen Fakultät heute schwere verbale Repressionen erleiden, die drohen, in physische überzugehen, zu stoppen.